Alltag kehrt ein
Auf wohl jedem Blog eines Freiwilligen findet man den
Eintrag „Alltag kehrt ein“. Nach mittlerweile vier Monaten ist es jetzt auch
bei mir soweit. In diesem Blogeintrag könnt ihr lesen wie sich mein Alltag in
Sofia abspielt und welche kleinen Highlights meinen Alltag in den letzten
Wochen bereichert haben.
Ein gewöhnlicher Tag startet bei mir um 8.00 Uhr mit einem
gemeinsamen Frühstück mit den obdachlosen jungen Erwachsenen, die in der
Notschlafstelle des Sozialzentrums übernachten. Meine freie Zeit am Morgen
nutze ich, um Bulgarisch zu lernen und einmal in der Woche gehe ich für zwei
Stunden zum Sprachkurs. Am späten Vormittag beginnt dann mein Arbeitstag. Zwei
Tage in der Woche, Mittwoch und Donnerstag, verbringe ich im Day Care Center. Die Kinder werden aus
der Schule oder Vorschule abgeholt und kommen gegen 12.00 Uhr im Tageszentrum
an. Die Zeit vor dem Mittagessen nutzen wir dazu mit den Kinder Hausaufgaben zu
machen, Rechen, Schreiben und das Alphabet zu üben oder einfach frei zu
spielen. Um 13 Uhr esse ich mit den Kindern und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
aus dem Sozialzentrum gemeinsam zu Mittag. Nach dem Mittagessen putzen die
Kinder ihre Zähne und haben die Möglichkeit duschen zu gehen. Anschließend gibt
es jeden Nachmittag ein Programm für die Kinder. Mittwochs gestalten meine
Kollegin und ich abwechselnd ein Programm und unterstützen uns gegenseitig bei
der Umsetzung. Jeden Donnerstag kommt eine Kunstlehrerin zu Besuch und malt mit
den Kindern zu verschiedenen Themen Bilder. Dabei unterstütze ich sie, zeige
den Kindern wie man Dinge einfach zeichnet oder male selbst ein Bild und
inspiriere die Kinder dadurch. Am späten Nachmittag werden die Kinder dann nach
Hause gebracht oder abgeholt und ich plane ein neues Projekt und besorge alle nötigen
Materialien. Dienstags, freitags und samstags arbeite ich im Family type house. Auch dort beginnt
mein Arbeitstag am Vormittag. Ein Junge aus der Gruppe, die im Family type house wohnt, kommt bereits am späten Vormittag von der
Schule. Weil es ihm oft schwer fällt an Aktivitäten mit der ganzen Gruppe
teilzunehmen, nutze wir die Zeit um gemeinsam zu puzzeln,
Geschicklichkeitsspiele zu spielen oder auf seinem Smartphone Fotos und Videos
zu bearbeiten. Gegen Mittag kommen drei weitere Kinder von der Schule nach
Hause. Wir essen gemeinsam zu Mittag und spielen anschließend
Gesellschaftsspiele oder draußen Fußball. Am Nachmittag hole ich dann die
restlichen vier Kinder von der Schule ab. Manchmal kommen die Kinder aber auch
schlecht gelaunt von der Schule und haben keine Lust auch nur irgendwas zu
machen und dann kann so ein Arbeitstag ziemlich langweilig werden. Am Samstag
sind die Kinder meist unternehmungslustig aber auch gelangweilt, weil sie sich
nur selten selbst beschäftigen können. Deswegen versuche ich für jeden Samstag
ein etwas größeres Projekt vorzubereiten.
Diesen Monat habe ich den Kindern beigebracht wie man
strickt. Da wir nur zwei Stricknadeln zur Verfügung hatten, zeigte ich den
anderen Kindern wie man mit den Finger strickt und sie wechselten sich mit den
Stricknadeln ab. Die Kinder hatten so viele Spaß beim Stricken, dass wir gleich
zwei ganze Samstagnachmittage damit verbrachten auf der Couch zu sitzen,
Fernsehen zu gucken und dabei zu stricken. Stricken entspannt und das habe ich
beim Stricken mit den Kindern wirklich gespürt, denn so eine entspannte
Atmosphäre gab es im Family type house
noch nie. Ein Junge war vom Stricken so begeistert und zeigte großes Talent,
sodass er auch noch in den Wochen danach immer mal wieder ein paar Reihen
strickte.
Außerdem bastelte ich mit den Kindern Marteniza. Das ist ein
rot-weißer Anhänger mit zwei Puppen oder ein rot-weißes Armband, das man am
linken Arm trägt. Am 1. März werden
diese Anhänger und Armbänder im Freundeskreis oder der Familie gegenseitig
verschenkt. Man trägt sie im März so lange bei sich bis man einen Storch, eine
Schwalbe oder einen blühenden Baum sieht. Dann hängt man den Anhänger oder das
Armband an einen Baum oder unter einen Stein und wünscht sich etwas. Mit diesem
Brauch heißt man hier in Bulgarien den Frühling willkommen und die Kinder scheinen
sich jedes Jahr aufs Neue sehr zu freuen die Marteniza zu basteln.
Während diese Projekte ein voller Erfolg war, verlief mein Projekt „Pappmaschee“ lediglich im Day Care Center erfolgreich. Aus Ballons, alter Zeitung und Eierkartons bastelten wir Tiere und malten sie anschließend als Katzen oder Schweine an. Meine Kolleginnen und die Kinder hatten trotz der großen Sauerei mit Kleister und Farbe viel Spaß und dank der Unterstützung meiner Kolleginnen können sich die Ergebnisse wirklich sehen lassen. Die Kinder im Family type house waren so begeistert von meinem neuen Projekt, dass sie kaum abwarten konnten endlich damit zu beginnen. Aber so schnell wie die Begeisterung aufkam, verflog sie auch wieder, denn alle Aktivitäten, die länger als 30 Minuten dauern, werden für die Kinder schnell uninteressant und sie sind nicht gerade geduldig. Somit waren die Pappmaschee-Tiere nicht stabil und fielen schon beim Anmalen auseinander. Davon abgesehen waren die Kinder sowieso mehr daran interessiert sich und die Möbel anzumalen anstatt der Tiere.
Nach solchen Tagen bin ich dann auch wirklich froh
Feierabend zu haben und meine Freizeit zu genießen. Am Abend gehe ich zweimal
in der Woche zum Swing Tanzkurs. Außerdem treffe ich mich mit Freunden und
Bekannten in Bars, Clubs oder Restaurants. Von einer guten Freundin und den
Praktikantinnen und Praktikanten aus den Botschaften, die ich zu Beginn meiner
Zeit in Sofia kennengelernt habe, musste ich mich schon verabschieden. Aber zum
Glück habe ich schon wieder viele neue Leute kennengelernt. Das Nachtleben in
Sofia hat einiges zu bieten. Eine etwas besondere Party fand in einer der viele
Shopping Malls statt, auf der abwechselnd Salsa und traditionelle bulgarische
Volkstänze getanzt wurden. Diese Tänze haben mich sehr begeistert und ich hoffe,
dass ich bald einen Tanzkurs finde, um sie zu lernen. Und wenn ich dann mal
einen Abend zu Hause bleibe esse mit den jungen Erwachsenen aus der
Notschlafstelle zu Abend.
Da mein Wochenende Sonntag und Montag ist und ich somit frei
habe wenn alle anderen schon wieder arbeiten müssen, ist es schwer spontan
gemeinsame Wochenendausflüge zu machen. Deswegen habe ich an den letzten
Wochenenden häufig das frühlingshafte Wetter genossen. In Sofia gibt es ein
sehr lebendiges Parkleben. Sobald die Sonne scheint, sitzen viele Leute in den
Parks und spiele Schach, trinken Kaffee oder gehen spazieren. Ein Ausflug hat
sich dann aber doch ergeben. Mit einem Praktikanten der Deutschen Botschaft
habe ich Pernik, eine kleine Stadt 30
km südwestlich von Sofia, besucht. Dort fand das Kukeri Festival statt. Dort trafen sich viele Gruppen aus
verschiedenen Städten, die wie eine Tiergestalt kostümiert waren, vor dem
Gesicht gruselige Masken und um die Hüften viele Glocken trugen. Angeführt von
Frauen, die ein Schild mit dem Namen der Stadt und die bulgarische Flagge
trugen, gingen die Gruppen wie bei einem Karnevalsumzug durch die Straßen bis
sie auf dem großen Platz ankamen. Dort wurde eine nach der anderen Gruppe von
einer Jury und vielen Zuschauern in Empfang genommen. Die Gruppen führten Tänze
auf, bei denen ihre Glocken ertönten und verschiedene Szene aus dem alltäglichen
Leben und der Landwirtschaft, wie zum Beispiel dem Bestellen eines Feldes. Mit
diesem Festival zum Jahresbeginn sollen böse Geister vertrieben und für Fruchtbarkeit
und eine reiche Ernte gebeten werden. Der Ausflug war vor allem kurios und laut,
da nicht nur die Glocken der Teilnehmer ununterbrochen läuteten, sondern das
ganze auch noch von einer Gajda begleitet
wurde. Gajda ist ein traditionelles
Instrument aus dem Balkan, das einem Dudelsack sehr ähnelt. Durch diesen Ausflug
konnte ich mal wieder ein Stück der osteuropäischen Kultur kennen lernen und er
hat mir gezeigt wie einzigartig die verschiedenen Kulturen in Europa sind.
Ich denke wenn Alltag einkehrt, dann heißt das vor allem,
dass man angekommen ist und das fühle ich mittlerweile auch: Ich benötige immer
weniger Google Maps, um mich in der Stadt zurechtzufinden; die Kinder sind mir
so ans Herz gewachsen, dass es mir jetzt schon vor dem Tag graut an dem ich
mich von ihnen verabschieden muss und ich konnte die ersten kurzen Gespräche
erfolgreich auf Bulgarisch durchführen. Trotz so viel schönem Alltag freue ich
mich jetzt bald eine Auszeit zu haben und wie die aussieht schreibe ich im
nächsten Eintrag.
Bis dahin!
Eure Louisa
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