Zur Halbzeit eine Auszeit
Die ersten fünf Monate meines Einsatzes sind um. Dabei habe
ich gerade erst das Gefühl, dass ich mich so richtig eingelebt habe. Jetzt
bleiben also noch weitere fünf Monate, um all meine Vorhaben umzusetzen. Die
erste Halbzeit habe ich mit einer dreiwöchigen Auszeit beendet. In diesem
Blogeintrag könnt ihr lesen, was ich in den letzten drei Wochen so erlebt habe.
Woche 1: Zwischenseminar
Von meiner Organisation jesuit volunteers werden vor dem
Freiwilligeneinsatz mehrere Vorbereitungsseminare, während des Einsatzes ein
Zwischenseminar und nach dem Einsatz ein Rückkehrerseminar organisiert. Zum
Zwischenseminar bin ich in ein kleines Dorf im Norden von Serbien gereist und
habe dort 16 Freiwillige getroffen, die ihren Freiwilligeneinsatz in acht
verschiedenen osteuropäischen Ländern und bei vier unterschiedlichen
Organisationen machen. Das Zwischenseminar dient dazu mal eine Auszeit vom
Alltag zu haben, sich mit anderen Freiwilligen austauschen zu können, die erste
Hälfte des Freiwilligeneinsatzes zu reflektieren und einen Ausblick auf die
zweite Hälfte zu wagen aber auch mal etwas zu relaxen.
Wenn ich die erste Hälfte meines Freiwilligeneinsatzes in
einem Satz zusammenfassen müsste, würde der ungefähr so lauten: Die ersten vier
Monate meines Freiwilligeneinsatzes waren manchmal eine kleine Herausforderung,
oft ein großes Abenteuer und immer eine entspannte Pause. Herausfordernd war für mich alleine zu reisen und alleine zu
wohnen und es war auch nicht so einfach Leute in meinem Alter kennenzulernen
und ohne Sprachkenntnisse im Projekt und in Bulgarien anzukommen. Aber genau
das macht die Zeit hier ja auch zu einem großen Abenteuer. Ich habe es sehr
genossen die Kinder kennenzulernen, mit ihnen Zeit zu verbringen, in eine neue
Kultur einzutauchen und somit eine Pause nach meinem Studienalltag zu haben. Dadurch,
dass ich im Vorfeld keine Zeit hatte große Erwartungen zu schüren und ich hier
sehr offen angekommen bin, wurde ich von
nichts wirklich enttäuscht und konnte mich einfach auf die Kultur, das Land und
das Projekt einlassen. Nach dem ersten halben Jahr kann ich sagen, dass mein
Freiwilligeneinsatz eine sehr kostbare Zeit für die Menschen vor Ort, vor allem
die Kinder und mich ist und ich sehr dankbar bin an diesem Programm teilnehmen
zu dürfen. Wenn ich auf die zweite Hälfte meines Freiwilligenjahres blicke,
dann sehe ich noch so einige Vorhaben: mit den Kindern ein Anti-Aggressionstraining
starten, mehr von Bulgariens Natur und ländlichen Regionen kennenlernen und
endlich traditionell bulgarische Tänze lernen.
Da sich all unsere Einsatzländer in Osteuropa zurzeit
transformieren und aufbauen, haben wir im Vorfeld die Aufgabe bekommen, mit
Menschen aus unserem Umfeld Interviews durchzuführen, um herauszufinden, ob sie
von diesen Entwicklungsprozessen etwas spüren. Meine Interviewpartner waren sich
alle einige, dass es seit Bulgariens Eintritt in die EU, vor mehr als 10 Jahren,
gute aber auch negative Entwicklungen gegeben hat. Sie loben um Beispiel, dass
es viele Investitionen und Fördergelder von der EU gibt und damit in Sofia eine
Metro gebaut und die Radwege und Autobahnen im Land verbessert wurden. Außerdem
empfinden sie es als sehr positiv, dass Bulgarien durch den EU-Eintritt eine
gewisse Nähe zu Westeuropa hat, mehr Arbeitsplätze vorhanden sind, das Reisen
einfacher ist und durch den westlichen Einfluss viel Neues und Vielfalt
gekommen ist. Allerdings kommen viele der Fördergelder nicht an, weil das Land
mit Korruption zu kämpfen hat. Dadurch, dass die Bulgarinnen und Bulgaren weit
weniger verdienen als in Westeuropa, können sie es sich nicht leisten durch
Europa zu reisen. Viele wandern nach Westeuropa aus, um mehr Geld zu verdienen.
Hinzu kommt, dass die meisten Familien sich nur ein Kind leisten können und
somit die Bevölkerungszahlen immer weiter sinken. Außerdem berichtete ein
Interviewpartner, dass durch den westeuropäischen Einfluss viele Traditionen verloren
gingen und die Qualität der Nahrungsmittel schlechter würde, denn Obst und
Gemüse käme nun nicht mehr aus dem eigenen Land, sondern würden aus der Niederlande
oder Spanien importiert. So eine richtige Weiterentwicklung sah also keiner der
Interviewten. Mit diesem Interview hatte ich endlich mal die Chance
herauszufinden wie die Bulgarinnen und Bulgaren über ihr Land denken.
Nachdem der Alltag hier in Sofia eingekehrt war, hat mir die
Pause in Serbien sehr gut getan. Vor allem habe ich, trotzdem ich hauptsächlich
für das Seminar dort hingereist bin, einiges vom Land gesehen. Auf dem Hinweg
habe ich einen kleinen Zwischenstopp in Belgrad gemacht. Auf meiner Weiterreise
musste ich feststellen, dass Belgrad eine Stadt ist, in der es sich lohnt mehr
als nur 24 Stunden zu verweilen, denn es gibt so einiges zu sehen. Ich habe es
immerhin geschafft mir die Kalemegdan, die Festung von Belgrad, anzusehen. Von
dort aus kann man nicht nur sehen wie die Save in die Donau mündet, sondern man
findet auch eine kleine Kirche, die von innen komplett mit Mosaiken
ausgeschmückt ist. Die größte Kirche Südosteuropas und eines der größten
Gotteshäuser der Welt, der Dom des Heiligen Sava, war allerdings nicht so
spektakulär wie auf den Fotos im Internet. Von außen war alles grau und trist,
denn es hat geregnet und im Inneren gab es eine riesige Baustelle. Einen Raum
der Kirche durfte man dann doch besichtigen und der war voller Gold. An einem
der Seminartage haben wir als Gruppe gemeinsam einen Ausflug nach Subotica
unternommen. Dort besichtigten wir unteranderem die Synagoge der Stadt, die mit
ihrer Größe, den Bemalungen und den bunten Fenstern beeindruckte. Auf meiner
Rückreise habe ich dann noch einen kurzen Stopp in Novi Sad gemacht und bin
dort durch die Fußgängerzone geschlendert und habe mir einige Kirchen
angesehen.
Woche 2: Urlaub mit meinem Freund
Nach dem Zwischenseminar hatte ich noch eine weitere Woche
Urlaub und endlich die Möglichkeit Besuch aus Deutschland zu empfangen. Diese
Zeit war für mich sehr schön, da ich endlich meinem Freund nicht nur von meinem
Leben hier in Sofia erzählen, sondern es ihm auch zeigen konnte. Da am Wochenende
oft nicht genug Zeit bleibt, um große Ausflüge zu machen, haben wir die Zeit
genutzt, um ein bisschen durchs Land zu reisen.
Eines unserer Reiseziele war natürlich die Kulturhauptstadt
2019: Plovdiv, die zweitgrößte Metropole des Landes. Die Stadt verteilt sich
auf mehrere Hügel, so dass wir viel bergauf und bergab gegangen sind. Neben
einer modernen Fußgängerzone mit vielen Geschäften, Restaurants und Cafés gibt
es eine wunderschöne Altstadt. Dort findet man vor allem viele Häuser, die sehr
ausgeschmückt sind und die Wiedergeburtsarchitektur wiederspiegeln. Aber auch
das Römische Theater aus dem 2. Jahrhundert und das Stadttore sind sehr
beeindruckend. Des Weiteren gibt es viele orthodoxe Kirchen, die mal bunt und
mal schlicht gehalten sind, eine katholische Kirche und zwei Moscheen aus dem
15. Jahrhundert zu sehen.
Eins der bekanntesten Besucherziele Bulgariens ist das Rila-Kloster.
Die Fahrt dorthin war abenteuerlich. Die leere Autobahn und Landstraße ging
durch unberührte Natur, ab und zu durchfuhren wir ein kleines Dorf. Dann wurde
die Straße immer schmaler und kurviger, rechts steiler Abhang, links eine hohe
Steinwand von der scheinbar regelmäßig etwas abrollte und dann standen auf
einmal ein paar wilde abgemagerte Pferde auf der Fahrbahn. Der Klosterhof und
in der Mitte die Kirche Sv. Bogorodica waren sehr beeindruckend. Trotz einiger
Touristen wirkte der Klosterhof total idyllisch und ruhig. Die Kirche ist von
außen und von innen komplett mit bunten Fresken geschmückt, die biblische
Gestalten zeigen. Das einzige was uns gefehlt hat, war ein Guide, der die
Fresken genauer erklärt.
Einen weiteren Stopp
während unserer Reise durchs Land haben wir in Bansko gemacht, einem der
schönsten Wintersportorte Bulgariens. Nicht weit davon entfernt gibt es einige
Wellnesshotels, die für das warme Mineralwasser Bulgariens bekannt sind. In Bulgarien
gibt es viele Mineralwasserquellen, aus denen das Wasser mit einer Temperatur
von mehr als 45 Grad entspringt. Es wird zum Trinken oder Baden genutzt und
gilt als sehr gesundheitsfördernd. Aber auch in Sofia konnte ich noch einige
Orte entdecken, die ich bisher noch nicht gesehen hatte. Unteranderem haben wir
uns die Synagoge angesehen und die Kirche von Bojana, eine mittelalterliche
bulgarisch-orthodoxe Kirche, die sehr gut erhaltene Wandmalereinen aus dem 11.
bis 13. Jahrhundert zeigt.
Woche 3: Besuch von der KSG Leipzig
Während meines Studiums war ich in der Katholischen
Studenten Gemeinde (KSG) Leipzig sehr aktiv und habe dort eine sehr schöne Zeit
verbracht. Jedes Semester wird in der Studentengemeinde ein Projekt gewählt,
für das während des kommenden Semesters Spenden gesammelt werden. Letzten
Sommer habe ich das Day Care Center als
Projekt vorgeschlagen und es wurde mit den meisten Stimmen gewählt, sodass im
letzten Wintersemester für dies Projekt mit der Kollekte Spenden gesammelt
wurden. Die Reise der Studentinnen und Studenten sollte dazu dienen, dass sie das
Day Care Center und die Organisation Concordia kennenlernen
und sehen wo ihre Spende hingeht. Mit einem Teil des Geldes konnten wir dann
auch gleich ein neues Projekt umsetzen. Wir haben den Flur, auf dem sich das Day Care Center befindet, gestrichen und
somit von einem kalten grün in ein warmes apricot verwandelt. Anschließend haben
wir an zwei Tagen mit den Kindern aus dem Day
Care Center die Wände mit Bildern, die die vier Jahreszeiten darstellen, verschönert.
Die Kinder haben sich sehr über das Malen gefreut und die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter waren von unserer schnellen und fleißigen Arbeitsweise sehr
begeistert. Und ich denke für die KSGlerinnen und KSGler war es eine sehr
intensive Zeit, denn sie haben in Sveti
Konstantin nicht nur Freiwilligenarbeit geleistet und alle Projekte des
Hauses kennengelernt, sondern auch in den Gästezimmer gewohnt und mit den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Klientinnen und Klienten zusammen gefrühstückt,
zu Mittag und zu Abend gegessen. Natürlich blieb während der Arbeit auch noch
Zeit für Sightseeing in Sofia und Plovdiv, bulgarische Spezialitäten wie den
Rakija zu probieren und um meinen Geburtstag zu feiern.
Seit zwei Wochen bin ich jetzt wieder im Alltag angekommen.
Mit den Kindern in Bozhurischte habe ich meinen Geburtstag nachgefeiert. Wir
hatten großen Spaß beim Topfschlagen, der Reise nach Jerusalem und beim
Eierlauf. Das Wetter wird immer sonniger und wärmer, so dass wir mit den Kindern
viel Zeit draußen verbringen oder Oster- und Frühlingsbilder malen.
Im März habe ich natürlich ein Marteniza um den Arm
getragen. Leider habe ich keine Schwalbe und auch keinen Storch gesehen, aber
es hängt jetzt trotzdem an einem blühenden Baum vor Sveti Konstantin.
Ich bin gespannt, was die ersten Wochen der zweiten Hälfte
so bringen werden…
Bis dahin
Eure Louisa
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